kalle kalima
kategorie: Feuilleton
location: naTo (Leipzig)
sparte: Konzert

Datum: 16.04.2014

Dem Publikum ein Service, daher fangen wir beruhigt an. Die Fakten. Die Spielvereinigung Sued ist eine Jazz-Bigband aus LE bzw. ausgedehntem Rand-LE, die immer wieder Gelegenheit findet in die naTo einzukehren. Und wenn sie schon mal da ist, auch gerne mal einen Gast mitbringt. Dieses oft Musiker, deren Stücke und Arrangements kurzer-bis-langer Hand draufgeschafft werden, um sie zusammen auf der Bühne für den Zeitraum der Einheit zu performen. Das hat eigentlich immer Wucht und Energie für …, na eben so viele, wie da ihr Handwerk betreiben und also ihre Instrumente kundig bedienen. Die Bretter, welche Welten bedeuten, vielfüßig belastend. Das Gegenüber des Auditoriums genauso zur Gänze anfüllend wie dieses sich, ob des Rufes die Band werde spielen, füllte.

Diesmal konnte Kalle Kalima, Ursprungsfinne und Neuberliner, rekrutiert werden. Dessen Werk „Suite for Domestic Animals“ vorgestellt wurde. Wie auch aus den Zwischenbemerkungen ersichtlich wurde, also ein tierisches Vergnügen. Der Träger des Neuen Deutschen Jazzpreis 2008 reist mit E-Gitarre und bringt sich nicht alleine jazzend ein, sondern eröffnet rockende Pfade, vom Jazz weg – wieder zu ihm hin. Diesen Pfaden folgt er ausgesprochen fleißig, sitzt daher oft über der Achse, die ihn dahin oder dorthin rollt, das Spiel mit der Musik zu treiben. Eben auf verspielte Weise und in allerlei Projekten, Kombos und losen Haufen. Dabei ihm Menschen über den Weg laufen und mit ihm musizieren, die ein hübsches Name-Dropping erlaubten, hier es aber ausbleiben kann.

Der so gemütliche Veranstaltungsort war dieses Mal wieder bestuhlt und füllte sich rasch bis auf den letzten Platz, respektive die letzte Treppenstufen und Stehplätze des Randes. Mehr gingen sitzend nicht rein. Nachdem die Getränke geholt und das Sanitär besucht ward, konnte es losgehen. Da die Musik begann, fing eine Reise an, in Episoden zerfallend, etwas im Rezensenten imaginiert habend, in ihn Geschichten einbrachte, oder doch Puzzleteile, die sich zu Geschichten anordneten. Manche können beschrieben werden, andere blieben ungefähr und vage, wie Schatten im Nebel. Doch hier der Versuch die Schleier zu lichten, genau jetzt spielt sich die Erinnerung ab.

Anfänge sind dialogisch, zweifach-zweisam oder vor vielstimmig tonalem Hintergrund. In die Vollen geht es an Startnummer eins, Free Jazz. Mit entsprechender Power, des all so vielen individen Lebens-Atmens, der in den Röhren und Windungen, so banalem Fakt des Gasaustausches, je seinen Rhythmus gibt oder diesen eben vertont, zur Plaisir der Beiseienden. Kalles E-Gitarre nimmt sich ein bisschen Raum ein, man fühlt ein Finden beginnen, den Start einer Suche (die auf dem Papier ja schon abgeschlossen). Tiefe, einfahrende Bassspuren, aus einem Ganzkörperschlauch weißer Umwindung, brummend wie bebend. Saxophonische Gespräche, wilderes Wortwechseln, nach Monologen. Der Hintergrund ergreift Partei und gibt seinen Senf dazu, die Bühne vibriert vor Spannung, vor Schwanken, Ein-Satz! Der Soli-Staffelstab wird weitergereicht, immer weiter. Im Abendverlauf wird fast jeder einmal diesen aufgenommen haben. Das Front-Saiten-Spiel des Gastes unterlegt es mit hintergründigem Säuseln, untergeschoben, eingespeist. Oft nahm sich der Gast im Abendverlauf angenehm zurück, manches Mal schien er seiner eigenen Musik mit einem verträumten, stillen Lächeln einfach nur anzuhören, er machte einen ausgesprochen sympathischen Eindruck. Final zelebriert sich das Gefundenhaben oder -sein, Klangrahmen ist Ein-Klang, im rechten Winkel, alles symmetrisch. Wo eben noch er sich krümmte, streckte, zog. A Cappella swingt es sich aus, das Stück. Kalle nannte es seinen „mad cow limbo“, im Rahmen der sehr humorvollen und sehr trockenen Zwischenansagen, die ein Gefühl von „Und war das jetzt auch ein ironischer Spaß?“ zurücklassen.

Es folgt der „red bull tango“, ein softes Wechselsprechen, etwas gitarriertes Mariachi ist vielleicht dabei, jedenfalls Latin-Anschläge meinte der Rezensent sich einbilden zu dürfen. Das Gebläse glänzt hierbei schon fast klassisch-jazzig, im Scheinwerferlicht golden. Es kommen und gehen Wellen, wogend durch die drei Reihen der Pustenden, schwanke im Tönen. Hin-her, sich einlassend auf Bewegung. Dann pausiert, leiert, bricht, fällt es auseinander. Die Welle am Strand des Schweigens. Doch kommt ja die Nächste gerollt. Die Komplexität lässt nicht mehr den einzelnen folgen, das Ohr ist überfordert, der Sog eines Strudels zieht in den Flow des Gesamten, des Gemeinen. Atmet kurz durch. Setzt neu an. Die Bühne kommuniziert, unter der Musik, versteht sich. Phänomen hinter dem Phänomen, des Klanges. Wieder wird das Gespräch-von-Zwei aufgenommen. Der Gast lässt nun etwas von seiner vornehmen Zurückhaltung, spielt sich kurz einmal in den Vordergrund. Ein Ende, das keines ist, erinnert sich an den Anfang, tröstend vielleicht, tritt die Trompete hinzu. Alle dürfen wieder mitreden, doch sie hat die Gesprächsführung. Da wird es lauter, schriller, ein wirklich schlagender Beat klopft mit, spürbare Fäuste aus Luftbewegung auf der sich einstellenden Gänsehaut, unter einer neuen gewaltigen Welle, einer Springflut, taucht, überspült, Differenziertes hervor, wie prustend ein Taucher. Schluss.

Das nächste Stück ist einem amerikanischen NSA-Whistleblower gewidmet. Es swingt der Beginn, stellt sich als Thema des Stückes heraus. Big Beat. Bass ist Weite. Die Höhen spielen Haschen. Dabei das Tieftönen in Singsang verfällt, dazwischen helle Kommentare erschallen, kurz, korrigierend. Dann findet eine klassische Jazzband aus dem Viel-Mehr zusammen, tritt hervor. Vielleicht sind sie nur mehr zu fünft, zu sechst. Doch schon mischen sie sich wieder ein. Es bleibt nichts mehr übrig, man muss sich dem ganz öffnen. Hört nicht heraus, treibt mit, im Strom der immer Jetzt ist. Bis man anlandet, an einem kurzen Break und ein Schlägersoli großes Kino trommelt. Wieder ein Ende ohne Ende, versucht sich in Eleganz, in ziviler Ordnung. Doch ist eher mühsam zivilisierter Schwung, der zähneknirschend gebremst. Beruhigt durch Selbstmäßigung, doch nicht lange kann die Zurückhaltung hemmen. Das Finale ist wie der Soundtrack zur spannendsten Szene eines guten Actionthrillers (Gibt es das? Zumindest hier, bei der Spielvereinigung, schon). Vorm Reißen die Nerven. Da ist Ruhe, dann Applaus.

Nicht mehr ist es möglich still zu sitzen, der Fuß tippt, das Genick wippt, jeweils in Eigenregie. Der Körper, vom rockigeren Werden, im Furor. Das anhält, das ein Sax solistisch umtaktet. Ist es nun ein Durchklang von Bossa Nova? Ist es. Hilfe ihm, der es durchzieht. Wilde Bongos, die ganz toll. Der Posaunist übernimmt, man bekommt Angst, dass er sich übernimmt. Das Rot der Gesichtsfarbe, wie viel Energie kann hineinfahren, bis alle Energie aus ihm gefahren ist? Kann sein Kopf platzen? Kann sein halbes Körpergewicht, in Schweiß umgesetzt den Boden um ihn rutschig machen? Wie sich ein Mensch doch einsetzen kann, phantastisch! Luft holen. Die Kleintrommeln, auf ihnen die Finger tanzen, machen noch was eigenes, dann holt die Gitarre alle von ihren jeweiligen Abwegen zurück, in die Spur. Vorsichtig. In dieser wird das Rockige jetzt aber sogar etwas heavy, ein Chor aus Musikanten ruft „Hey!“ und „Hey!“ und hey, geht es in die Pause.

Das Wiederbeginnen ist getragener, weniger davon tragend. Ein gemächlicherer Neuaufbau. Dann geht es ins Terrarium, einer Python die Aufwartung zu machen. Die Assoziation zu dem Tier lässt nicht lange auf sich warten. Klapperndes Rasseln, ein Sax naht sich noch leisen Trittes. Ein zweites baut Spannung zwischen zwei Polen, da das Piano Unheil, vorausnehmend, verkündet. Ein trauriges Ereignis? Ein melodisches Verbergen wird erzählt. Etwas passiert, aber was? Der Gitarrist erhebt sich vom Sitzen, klingt ins Geheimnis hinein, santanaesk und mit blues, sich eintragend. Mehr und mehr im Stück seiend. Das sich um sein Spiel bildet. An ihm entlang klingt. Es entwickelt sich. Dann: Ein Run in Hektik, schnell, schneller hetzend. Das Ziel. Was? Wie ein Stolpern? Wie ein Schlangenbiss? Schweigender Schock. Doch, noch atmet etwas. In panischer Angst, das Herz wieder zu schlagen beginnt? Besinnen. Wachwerden. Schwer und langsam schreitend, geht es weiter, schwankend, wie betrunken. Da: „Schhhhhhhhh.“ Aus der letzten Reihe. „Schhhhhhh.“ Züngelt die Schlange, davon schlängelnd. Ist Schweigen.

Kommt es nun zur Agitation. Steh-auf-Männchen geben metallenen Ton, schief, kurz, heftig. Da macht das Piano dem Ordnung. Dann eine zweite Runde. Das Thema wird leicht und ein Schlagen schreitet dazu, da das Piano anführt. Hierzu tanzen zweitaktige Bläser, trompetend ins nacheinander, als Viele, ausklingend mit Sax und Tastenklimper, bis nur noch es als Nachhallendes, dabei leises Klappern von Sticks auf Kante. Doch nochmal rafft die Menge sich auf, wieder Wellen durch die Reihen des goldigen Glanzes, noch mal Hektik im Widersingen. Aufbäumend aneinander, es wird großartig, von Art, heißt Kunst. Ist endend, in schwerem Atmen, es hauchen die Mundstücke, trocken und fast tonlos, geradezu hölzern, letztes Hecheln. Dann Aus.

Bis auf das Allerletzte und das Allerallerletzte, die Zugabe. „Extra Large Swing“ und ein „Faultierblues“. Bei ersterem der Contrabass solistisch und die Bongos wieder angenehm prominent, Gespräch zwischen Sax und Trompete. Wirklich Letztes geht mit stimmlicher Laola einher, ihr folgt ein Stückchen Sax-Verrücktheit von besonderer Schöne, wildes Auf-Ab, findet Tonleitern, vielleicht ganz eigene, sture Störgeräusche rauschen vom Keyboard her. Die heben sich plötzlich melodiös über das schlagende Zeug, bis dann der Front-Finne übernimmt, mit einem großen Solo. Ans Herz greifend. Das Letzthinige hat etwas Zirkushaftes. Dann ist die Vorstellung endgültig aus. Der Rezensent geht nach Haus. Beschwingt und mit Magie überkribbelt, wie ein Bodysuite aus Anregung und Phantasie, die sich in diesen Text ergeben musste, um Unbeschrieben zu überschreiben. Wörter als Chiffren, als Symbole, weil nicht zu sagen ist, wie sich ein Ton anfühlt. Doch diesem Gefühl seien volle Punkte zugewiesen.

(5/5)

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