genre: Sportsimulation
publisher: Bigben Interactive
plattform: PC, PS Vita, PS3, PS4, Xbox 360, Xbox One
VÖ: 27.11.2015
Anwurf
Das Jahr 2015 nähert sich rasant dem Ende entgegen. Das Wetter wird winterlich und man zockt wieder öfter gemütlich eine Runde an der Konsole. Im Zuge der Ermittlungen zum „Sommermärchen“ 2006 erinnert man sich eventuell auch an das „Handballmärchen“ 2007, konnte man da doch im WM-Finale zu Hause den Titel mit 29:24 gegen Polen feiern. Ich kann mich noch genau an die ausgelassene Stimmung mit „Heiner-Brand-Gedächtnisbart“ erinnern. Nach solch einem Erfolg sollte auch die Fanschar sicherlich größer werden. Mit etwa 800.000 Mitgliedern im Handballverband sollte es also allein in Deutschland eine liquide Zielgruppe für ein Handballkonsolenspiel geben.
Halbzeit
Mit „Handball 16“ kann man seit Ende November virtuell den Ball durch die Halle werfen und sich mit seinem Lieblingsverein dem Kampf um die Meisterschaft in der stärksten Handballliga der Welt stellen. Das Lizenzpaket umfasst die Vereine der beiden höchsten Spielklassen aus den Ländern Deutschland, Frankreich, Spanien und Dänemark. Auf Nationalmannschaften muss man leider verzichten. Im Hauptmenü hat man die Wahl zwischen einem Freundschaftsspiel lokal oder online, einem Saisonmodus für Vereine oder einer Spielerkarriere. Einen Übungsmodus vermisst man leider. Im Karrieremodus kann man seinen Spieler individuell seinen Wünschen entsprechend anpassen. Legt man die Branchenriesen „NBA 2K“ oder „FIFA 16“ zu Grunde wird man aber klar enttäuscht. Wirklich tiefgreifende Details darf man nicht erwarten. Die Haarfarbe beschränkt sich beispielsweise nur auf drei Optionen, dunkelbraun, blond und rot. Es gibt ein paar verschiedenfarbige Treter zur Auswahl sowie Utensilien wie Knie- oder Ellenbogenbandagen. Es gibt sechs mögliche Spielpositionen, Torhüter darf man in der Karriere leider nicht spielen. Die Gesamtspielstärke des eigenen Alter Ego wird über sechs Kennzahlen definiert. Erfüllt man kleine Zwischenziele als Herausforderung, so gibt es dafür Karrierepunkte. Mit diesen verbessert man dann beispielsweise seine Wurffähigkeit. Warum man allerdings händisch seine Beliebtheit mit Punkten pushen kann, anstatt dies über die Spielleistung zu gestalten, bleibt rätselhaft. Das Karrieremenü umfasst ansonsten keinerlei Statistiken oder ähnliches schmückendes Beiwerk. Es ist weiterhin nicht möglich, sich den Startverein aus Liga 2 frei zu wählen. Es gibt leider jeweils nur drei Vereine pro Liga. Wer auf den Karrieremodus mit mehreren Charakteren auf unterschiedlichen Positionen Lust hat, wird ebenfalls enttäuscht. Es gibt nur einen Karrierespeicherplatz. Dies ist im Übrigen auch für die Vereinssaison so gestaltet.
Abpfiff
Hat man sich durch die wenigen Menüs geklickt, sich für eine der drei fiktiven Hallen entschieden und auch bei der Wahl der Farbe des Hallenbodens den Wunschbelag ausgesucht, geht es endlich auf die Platte. Als Kommentatoren hat man mit Markus Götz die Stimme der Handballübertragungen auf Sport 1 verpflichtet. Unterstützung erhält er durch Handball-Paradiesvogel Stefan Kretzschmar. Wer die Handballlegende Kretsche etwas besser kennt, wird sich vor allem über dessen atypisch ruhige und teilweise etwas skurrile Kommentare wundern. Hier erkennt man sofort deutliche Schwächen in der Auswahlroutine der vorgefertigten Textbausteine. Beim Stand von 2:7 ein knappes Spiel zu sehen sorgt ebenso für Verwunderung wie die Ansage, dass nach sieben Minuten in Halbzeit eins nur noch „ein paar Minuten“ zu spielen sind. Das größte Augenrollen ruft allerdings schon der Kommentar vor der Partie hervor. Kretzschmar spricht von einem Hexenkessel. Den kann man beim besten Willen aber nicht hören. Die Dauerschleife der Umgebungsgeräusche ist viel zu leise. Die Sätze werden weder flüssig aus Textbausteinen zusammengesetzt noch gibt es eine große Auswahl an verschiedenen Sätzen. Gefühlt gibt es maximal 30 Sätze pro Kommentator. Wenn Kretzschmar dann innerhalb von fünf Spielminuten das dritte Mal „Monsterblock“ ruft, wird es albern. Es kommt keinerlei „Live-Feeling“ auf, welches man laut Entwickler-Teaser aber als großes Ziel hatte. Schiebt man diese Schwachstellen beiseite, kann ein gutes Gameplay viel ausgleichen. Diese Chance bleibt aber ebenfalls ungenutzt. Wer anspruchslos einfach drauflos spielt, wird schon nach wenigen Minuten frustriert das Gamepad zur Seite legen. Um überhaupt ein paar Tore erzielen zu können, sind manuell einzustellende Offensivspielzüge zwingend notwendig. Wirklich intuitiv wurde das System aber nicht implementiert. Der ballführende Spieler wählt eine von vier für seine Position vorgegebenen Taktiken aus und man läuft dann stumpf den farbig markierten Weg ab und passt den Ball an der entsprechenden Stelle. Schafft man es trotz der hochgradig ungenauen und schwammigen Steuerung den Ball richtig zu spielen, wird der Wurf in Zeitlupe ausgeführt. Das macht das abstruse Zielen zumindest halbwegs steuerbar. Trotzdem ruft die Wurfmechanik mehr Frust als Lust hervor. Hat man dann den Ball geworfen, treten die Supertorhüter auf den Plan. Der statistisch beste Keeper in der HBL hat aktuell nach 15 Saisonspielen im Schnitt jeden dritten Ball gehalten. In „Handball 16“ darf man Quoten um die 80% bestaunen. Die Ballphysik ist sehr weit von der Realität entfernt. Der Ball klebt nach einer Parade förmlich auf dem Boden und nach einer spürbaren Miniverzögerung hebt der Torhüter den Ball hölzern auf. Die Animationen sind trotz Motion-Capturing nicht rund und tragen zum schlechten Gesamteindruck bei, dass hier sehr lieblos gearbeitet wurde. Das Regelwerk wurde gut implementiert. Die Schiedsrichter verteilen aber unrealistisch häufig Zeitstrafen für kleinste Fouls.
Nachdem man in allen offline zur Verfügung stehenden Modi enttäuscht wurde und da die Hoffnung ja bekanntlich als letztes stirbt, kann vielleicht der Online-Modus noch ein paar Pluspunkte einheimsen. Allerdings weit gefehlt. Es existieren zwar in der Theorie private und öffentliche Spiele, einen Unterschied macht das aber nicht. In beide Varianten lässt sich nur ein Spieler von der eigenen Freundesliste einladen. Kurzweilige Onlinepartien per Matchmaker mit zufälligen Gegnern gibt es nicht. So gestaltet ist der Online-Modus fast nutzlos. Eine kleine Anekdote am Rande: Hat man sich nicht für Xbox Live angemeldet, stürzt das Spiel mit grausamen Geräuschen, ähnlich denen, wenn beim PC ein RAM im Betrieb den Geist aufgibt, einfach ab.
Fazit
In freudiger Erwartung auf tolle Handball-Action fällt man leider auf die Nase. Das Spiel ist von vorn bis hinten einfach lieblos programmiert worden. „NBA 2K“, „FIFA“ und „Madden NFL2 haben extrem hohe Maßstäbe für Sportspiele gesetzt. Das „Handball 16“ da nicht mithalten kann, war zu vermuten. Dass das Spiel aber im Endeffekt für über 60 Euro so ein Rohrkrepierer ist, überrascht dann doch gewaltig. Die Spielsteuerung ist weder intuitiv noch genau genug. Individuelles Spielen ist weder gewollt noch möglich. Handball ist schneller, präziser, actionreicher Sport. All das ist „Handball 16“ leider nicht. Nicht jede Sportart lässt sich wirklich gut virtuell umsetzen, trotzdem hat man Unmengen an Potenzial sträflich ungenutzt gelassen. Für den absoluten Hardcore-Fan mag das Spiel zumindest für ein paar Stunden gut sein. Allen anderen muss man vom Kauf abraten.
PRO:
- alle Mannschaften der Liga 1 & 2 aus Deutschland, Frankreich, Spanien und Dänemark
- die bekannte Kommentator-Stimme von Markus Götz und Handball-Experte Stefan Kretzschmar sorgen für Wiedererkennungswert
- in groben Zügen sieht es wie Handball aus
- die Optik der Spieler ist bedingt gelungen, die Replays sehen vergleichsweise gut aus
CONTRA:
- Steuerung schwammig und weder ergonomisch noch intuitiv
- Soundkulisse viel zu leise und nur ein einziger Loop, Kommentatoren wiederholen sich viel zu oft
- Spielumfang für ein Vollpreisspiel viel zu gering
- Online-Modus nutzlos, kein Matchmaking oder ähnliches