the ministry of wolves
kategorie: Feuilleton
location: Schauspiel (Leipzig)
sparte: Konzert

Datum: 27.04.2014

Die Musik, welche am Sonntag im Schauspiel Leipzig live zu hören war, ist ursprünglich theatralisch. Sozusagen der Soundtrack zum Stück „Republik der Wölfe“ in Dortmund. Es geht dabei, wie auch in den Stücken/Lyrics, um die Märchenwelt der Gebrüder Grimm, jedoch nach der Bearbeitung von Anne Sexton. Dieses Mal ist es aber um das Schau-Spielen reduziert, die Instrumente und elektronischen Mittelchen waren es, die gespielt wurden. Gehandhabt diese alle vom Ministerium der Wölfe. Dafür konnten Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten, Crime & The City Solution), Mick Harvey (Mitbegründer von Nick Cave & The Bad Seeds), Danielle de Picciotto (Crime & The City Solution) und Paul Wallfisch (musikalischer Leiter Schauspiel Dortmund) gewonnen werden.

Zum Vor-Wesentlichen! Ein leinenes Wändchen ward beleuchtet. Zu sehen, holzschnittartig gezeichnet und wunderbar koloriert, eine kleine Dame, ein Kitz herzend, bewacht von vier Wölfen, deren einer dem Mond Bescheid gibt. Nacht war es und Sterne sanken, langsames Fallen. Der Blick ging vom Bild weg und sah in die Reihen. Womöglich halbvoll der Saal. Vielleicht nicht mal dies. Zieht man nun nachträglich noch die Presse ab … ach, es ist traurig! In feines Tuch gewandet, betraten vier Musikschaffende, die mit allerlei Instrumentierung, diversen Laptops und allerlei Kabelsalat befüllte Bühne. Eine männliche Trias aus Keyboardbefühler, Dreschknüppler und Saitenreißer umkreiste eine kleine Dame, im schön fallenden Kleid, die dem Geigenkasten keine Maschinenpistole entnahm. Die Anzüge saßen, die jeweilige, farbliche Auflockerung barg stilvoll Legeres und man schien allenthalben recht gut aufgelegt (eine Stimmung, die sich beim späteren Autogramm-Schreiben fortsetzte, alle wirkten sehr sympathisch). Und sie beschränkten sich nicht auf das einmal angefasste Instrument, spielten vielmehr Bäumchen-wechsel-dich, einige interessante, tonproduzierende Gerätschaften waren bei und jeder der Vier durfte mal die Stimmbänder schwingen lassen.

Das erste Stück. Ein Prolog. Märchenhaft getragen, wie ein Es-war-einmal …, ein bisschen Wehmut, ein bisschen Träumen. Aber Verarbeitung realen Erlebens, das im Traum auftaucht. Welches? Es ist eine Einladung sich zu erinnern, sich zu identifizieren, vielleicht. Immer nur: Vielleicht! Die Geschichte ward erzählt. Die Geschichte über die wandelnden Geschichten, der Chronisten (am Schatz uriger Großmütter), den grimmigen.

Gitarre ist dem Bass getauscht worden und das Keyboard orgelte nun. Zum Zweiten. Die Leinwand zeigte das Bild einer Bühne darauf eine Band, daneben Filmfragmente, abgerissen, wiederum daneben etwas wie ein Glaskubus, weiße Figuren traten heraus, wieder hinein, die Band schien nicht zu spielen, da aber die Band vor dem Projizierten spielte. Es klang poppiger, meint beatträchtiger was nun zu hören, behielt aber etwas Melancholisches, man meinte ein Bad-Seeds-Echo hervor zu hören.

Geige und Schlagzeug rückten mehr in den Vordergrund, ohne das Mick Harvey sein Set hätte umbauen müssen und von a nach b schleppen. Er trommelte den Rhythmus lastig. Orchestrale Anleihen. Zwei Post-Punks verirrten sich im Wald, Geschwister. So ähnlich sagte ein Sprechgesang, ein Zuckerhäuschen sprang bildhaft aus dem Hintergrund hervor. Erzählerisch das, ziemlich Nick-Cave-like. Ausgesprochen angenehm, sonor und dunkel.

Ein Turm vor Nacht, Wolken und Sternenfunkel, im Bild. Im Ton, romantischer Pop, zurückgenommen wurde etwas Exklusives, welches kaum aufgetaucht (oder nur erwartet?), es gewandelt zur (oder nur eingekleidet in?) souverän seienden, stet gehaltenen An-Gewöhnung,  zur Wiederholung. Milder Schwung ward bedient, gleich kräftig angestoßen. Tragisch genommenes Harren, auf Rettung aus dem Turm. Da die Tage und Nächte flohen, vorüberflogen, wie Wolken verweht.

Da dröhnte es plötzlich diabolisch, Störgeräusche. Basstiefen Gesang überschreiender Hall. Der Grundton hetzte außer Atem, „… The devil told you that …“, ein böser Zwerg, ein Rumpelstilzchen, kreischte es. Wenn auch der Sänger, eine Gitarre umgehängt hatte und eigentlich recht groß war. Da brach das Gemeinsam auseinander. Baladeske Momente wo das Keyboard seinen Flügel schwang. Das Böse starb, der Name: Verraten. Das Thema: Wieder aufgenommen. Und es illustrierte der Erzähler die Brutalität des Sterbens. Da ein elektrifiziertes Saitensolo das monotone Thema etwas auseinandernahm, das Spiel bekam mehr und mehr Varianz, etwas unsauber, mit Orgelschlägen und Glockengeläut lief es aus.

Eine Ballerina tanzte filmisch, auf der Stelle, wie im Filmabriss, wie beim Plattensprung, surreales Farbenprangen, oder eher pop-ge-artete Ikonographie. Soft gezupfte Violinenreißer, Xylophonisches, dann ein Hackesches Banjo-Spiel. Cinderella brauchte drei Anläufe in den Schuh zu kommen, die Musiker drei Neueinstiege. Liebliche Süße, ein wenig zu fabelhaft eventuell, ein bisschen Disney-Überkitschung vielleicht? Ironisches Veralbern? Erinnerte stimmlich an Julia Stone, hell, manchmal mehr gehaucht, punktuell ein Piepsiges. Klangweit etwas mehr wie ein Tanz, der sich sehr viel Zeit nimmt, das Wiegen auf den Füßen, Wechselschritte, Gesten von überhöhter Deutlichkeit, von dandyhafter Lust am Morbiden. Ein Thema, das man irgendwoher kennt, doch kam der Rezensent nicht drauf. Ist eine Spur von Kate Nash im Zwischendrin gewesen? Nur ein Nebel einer Ahnung kommt ihn an. Sanft geklimperte Ballade. „… And they lifed happely ever after ….“

Die Knüppel flogen davon und eine Akustik-Klampfe wurde zum Gesang befingert. „… Dancing the dance of death. … With electric shoes ….“ Fabuliertes Herzergreifen, sublimiert aus Schmerz zum Tod. Das Umarmen des Lebens, damit der Liebe. Näher die Existenz dem je Extrem, in Gleichzeitigkeit. Ein Bäuerlein. Schwarz-weißes Hüttchen, wie Linoleum-Schnitt, drinnen zwei Figuren am Esstisch. Druckvoller, wütender Beginn. Orgelstördröhn. Gitarrengröhl. Gesang übersteuerte, grenzte am Schrei heißerer Stimme, krächzend. Heavy. „… Keep the moral, that´s the moral honey!“ Eisen-Hans. Ein Laufroboter ging aus weißen Linien durch schwarze Hintergründigkeit. Es erstrahlte selbstgewisse, für Weisheit gehaltene bardentätige Geschichtserzählung, der Leier klang spährisch eine Harfe hervor. Dieses eines der Instrumente, von de Picciotto bedient, hatte etwas Mittelaltes an sich.

Sleeping Beauty. Kleine Rosenblüten fielen vor pulsenden Blutgefäßen. Oder waren es Nervenknäule unter Strom? Erst schief-verdüsterte Schläge, dann bitter-süßes Stimmchen. Hinten stürzten nun Funken. Hatte vielleicht etwas von Velvet Underground, ein bisschen Heroin-Song, wie Herzschlag, der gestört, Bass legte sich ein. Schmerzhafte Ehrlichkeit im bedauernden Unterton. Wie Vorwurf an den Geschichtsniederschreiber und dem perversen Gefallen an brutaler und mörderischen Fantasie der Ersinnenden. Fatalistisch dennoch die Rolle spielend, die zugedacht. Vielleicht nicht bis zum Ende. Vielleicht lieber in ihr, im Genau-So(!), ewig zu träumen? Wie ein flackerndes Bilderübergehen, ein Sturz durch ein Labyrinth, es unentweichlich. In Zeitlupe. Mit minotaurischer Gewissheit, auch das Böse irrt im Dunkel, hat es schon die Witterung des Angstschweißes? Alb ohne Erwachen? Monotone, lange Weile die nicht langweilt, sondern Nerven spannt. Glitt darüber ein Dahintreiben, im Unterbewusstsein, es hinter sich lassend? „… Set me free ….“ Bittend? Flehend?

Froschkönig. Zwei schwarze Augen vor Gelb, blickten ins Auditorium. Goldkugelspiel. Der Frosch grün-gelb. Folkig ward Rock. Etwas Böses drang hindurch. Eine Lust am Ekel. Heulende Wölfe, ein Rotkäppchen, verzerrter Anfang, Nah am Sprechgesang, ausgesprochen hübsch. Zwischenfiep und Zerklimper. Verschleppter Beat, geschruppte Gitarre. Die weiße Schlange. Selbige wand sich im Hintergrund, unendlich silbern-weiß. Ein jaulendes Saitenspiel, die Geschichte erzählte sich ohne Sang, nur der Refrain trällerte. Dann Schluss und Applaus.

Zugaben. Klangen nach Covern. Nochmal Rotkäppchen, diesmal ein anderes im Country-Folk-Mix vor flatterndem Rot und schwebenden Quallen. Dann etwas Oldschool-Rock´n´Roll. Ein Standard. Oder einer, der es werden will? „… I´m the wolfman, baby!“. Mit Blues-Momenten unterfüttert. Noch ein Killerwolf, ursprünglich von Danzig, wenn die Erinnerung nicht trügt, Quetschkommodenähnliches aus der Elektronik. Frivole Süße singt es kokett.

Viel Spaß war Alles. Demjenigen, der solchen Tönen zuneigt. Grund ist so zu tun. Ist er genug? Dem Rezensenten: Ja! Anderen? Durch die Anderen ist es herauszufinden ….

(4/5)

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