die physiker

Datum: 03.05.2014

Keine Sorge! Das Tafelwerk durfte zu Hause bleiben. Nicht war es der Gegenstand der Physik, sondern das Wirken und sich erweiternde Fortwirken der Erkenntnisse und möglich kommender solcher, welche wohlverborgen die Krisis auslösten, damit das Rad der Ursachen-Folge-Wirkungen anstießen und nachgerade mächtig in Schwung versetzten. Ein gewisser Albert Einstein schrieb eine mittlerweile bekannte Formel auf. Nach dieser ließ sich, aus Uran, mit wenig Sprengstoff, der eine unkritische Masse dessen auf eine ebensolch Zweite schießt und in gemeinsam kritische Masse umwandelt, somit eine energetische Kettenreaktion freisetzen. Also Materie der Kerne spalten, durch ungeheure Energien zusammengehalten, die nun frei werden. Womit Materie in Energie gewandelt wird, die berühmte Formel bestätigend. Einstein, in die USA emigrierter Jude, den Nazis entkommen, kannte Gerüchte über deutsche Forschungsabteilungen, die eine Atombombe bauen wollten. Die es wirklich gab, wenn die Forschung auch früh wieder eingestellt wurde. Daher Einstein dem Präsidenten der Vereinigten Staaten riet, schnellstmöglich eine eigene zu entwickeln, um den Nazis zuvor zu kommen (dabei er auch half). Soweit der Hintergrund. Warum nun ist dies wichtig? Weil das wieder passieren könnte. Eine große, wichtige, geradezu genialistischste Entdeckung der Grundlagenforschung, die konkret und gegenständlich wird. In Form einer ungeheuren Waffe. Was wenn nun ein Physiker eine solche Entdeckung machte und fürchten muss, ja sogar begründend vermuten kann, was mit eben dieser einstens womöglich an Vernichtungs-Potential erreicht werden könnte? Was wäre, wenn er sein Wissen geheim halten wollte, oder meinte es halten zu müssen? Wo wäre es wohl am sichersten aufgehoben?

Am Orte des komisch-theatralischen Geschehens in diesem Stück des Friedrich Dürrenmatt. Dem Sanatorium. Unter Verrückten. Wo jede Äußerung, auch die genialste, die schönste, vielleicht gar die prophetisch-messianischste, pauschal als irre gilt. Der vielleicht „größte Physiker aller Zeiten“ Johann Wilhelm Möbius hat obig angedeutete Entdeckung gemacht. Die Weltformel, alle verbliebenen physikalischen Fragen zu beantworten, das Universum ganz zu erklären. Also hört er ab sofort König Salomon zu sich sprechen. Ist also entschieden verrückt geworden und ward ins Sanatorium gesperrt, mit ihm sein Wissen. Dort ist er in guter Fach-Gesellschaft, zwei weitere „Physiker“ sind hier befindlich, ein herbeiphantasierter „Newton“, von H.G. Beutler herbeihalluziniert und das Phantom von „Einstein“, dessen Schatten auf E.H. Ernesti fiel.

Doch auch im besten Versteck droht Entdeckung, besonders wenn dort Ungewöhnliches geschieht und darauf ein Schein öffentlicher Aufmerksamkeit fällt. So etwa, wenn in einem Sanatorium ein Mord, oder ein „Unglück“, geschähe. Wenn zum Beispiel „Newton“ seine Pflegerin tötete, ehemals kundige Ringerin. Was Faktisch. Von dem erfährt der Zuseher jedoch erst, über die Ermittlungen zu einem zweiten Mord …, Verzeihung(!) der Rezensent meinte natürlich: „Unglück“. Diesmal ist „Einstein“ der „Täter“ gewesen. Auch er tötete seine Pflegerin, ehemalig Judo-Kämpferin. Diese erdrosselt mit der Vorhangkordel, jene mit der Schnur der Stehlampe.

Ein verzweifelnder Kommissar soll ermitteln, kann aber bereits Weggesperrte nicht wegsperren, ist also irgendwie eine etwas verlorene Figur. Was Komik erzeugte. Dem zum Beispiel durch „Newton“, eigentlich H.G. Beutler, erklärt wurde, er sei ganz, ganz „eigentlich“ ja „Einstein“, wolle aber (den anderen) „Einstein“ nicht durcheinander bringen mit dieser Offenbarung, der sich damit ja notwendig fälschlich für „Einstein“ halte, eben irre sei. Er „Newton“, der also eigentlich „wahre Einstein“, sei aber nicht irre, sondern ein Genie. Hiermit dem Leser, durch den Rezensenten, ein solches Durcheinanderbringen passiert wäre.

Auftritt der Anstaltsleiterin Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd, sowie der verbliebenen Oberschwester Martha Boll. Die Physiker bilden ein Trikolon, jene mit den verstorbenen Schwester ebenso. Was wird also ihr Schicksal sein? Im Verlaufe des Stückes ging mehrfaches Wandeln vor sich. Wer ist nun „wirklich“ verrückt und wer normal? Wer ist „wirklich“ was er darstellt? Wer unter all den beteiligten Figuren birgt zur Abwechslung mal kein Geheimnis unter der Maske? Überraschungen und humorige Wenden inklusive. Sowie zitierfähige Bonmots (frei aus dem Erinnern): „Es gibt nichts Anstößigeres, als ein Wunder in der Wissenschaft“.

Die Oberschwester ist in Möbius verliebt, er in sie. Bei den beiden anderen „Physikern“ und ihren Opfern verhielt es sich, schien es, ebenso. Sie macht es möglich, dass er frei gelassen werden kann. Ist er auch „unheilbar“, so doch ungefährlich. Da dies das Kriterium möglicher Freiheit, die Möbius ja nicht erlangen will, um sich und sein Wissen weiter zu verstecken, muss er dieses Urteil wiederlegen, also „gefährlich“ sein. Wie dies zu bewerkstelligen? So die Frage, da er die geliebte und liebende Oberschwester, ehemalige Gewichtstemmerin, in Armen hielt, vielleicht die Einzige, der er je körperlich noch so nahe kommen könnte …. Dann ist Pause.

Ein musikalisches Zwischenspiel startete Teil zwei. Das Ensemble stand als Chor und Möbius erhob sich zu solistischem Gesang, sanft-leis begonnen und kräftig-eindringlich finalisiert habend. Wobei der Regisseur im Hintergrund angenehmst die Klampfe (nebst Licht- und Sound-Technik) bediente. Dies von allen Beteiligten wunderbar gemacht. „I ran to the devil. He was waiting“. „Sinnerman“, ursprünglich von Nina Simone. Die Auflösung folgt. Doch bis an diese Stelle ist inhaltlich schon genug gespoilert worden. Es geht aus, mit Kürzest-Vorstellungen der Halluzinationen durch ihre Schauspieler, von allen Dreien groß performt. Dann ward nurmehr berechtigter Applaus.

Wir schreiten zur Wertung und zur Vollendung der Meta-Vorstellung. Diese nämlich auch den Maßstab der Bewertung setzt. Die Ubi-Performance-Gruppe ist im Programm gesamt als Amateur-Truppe ausgepreist. Das meint ausdrücklich nicht, dass sie sich amateurhaft angestellt hätte, sondern dass ihre Mitglieder zum Teil das Schauspiel erst/noch Erlernende sind, zum Anderen solche, mit schon etwas professionellerem Status in der Kunst desselben. Der Zuschauer-Anspruch kann daher nicht derselbe sein, wie er etwa beim Ensemble des Schauspiels Leipzig anzusetzen wäre. Die Mehrzahl der Neben-Rollen-Darsteller füllten mehrere derselben aus. Unter anderem war es darstellerisch eine schöne Idee, gleichzeitig drei Kurzauftretende (höhen- und stimmverstellbare Söhne aus erster Ehe des Möbius) einzig durch eine Schauspielerin schizophrenisch verkörpern zu lassen. Das Zwischenspiel war klanglich wie darstellerisch eine ausnehmend schöne Idee.

Man merkte freilich, dass nicht alles perfekt saß, dass die Sprache manchmal etwas unsauber modelliert wurde, dass die Stimmung/die Rolle einer Figur hier und da nicht ganz herausgearbeitet wurde. Aber dies im Rahmen realistischer Erwartung schlicht und einfach kaum ins Gewicht fiel. Nicht nur gaben sich die Schauspieler viel Mühe, deren Essenz ist ihnen auch durch das Publikum gelohnt worden, welches hiervon berührt, und zwar verdienter Maßen. Meint: Es ist Schauspielkunst zu sehen gewesen. Nicht das Höchste dieser Kunst, aber eben doch Kunst. Der Rezensent ging ob des Gesehenen froh und wirklich gut unterhalten nach Hause. Mit dem anhaltenden Effekt dies Stück, gleichsam das Ensemble, als empfehlenswert hier vorzustellen, demjenigen der Gelegenheit und Freude zum/am Theater-Erleben hat. Sowie jenen, die solcherart noch nicht sich einschätzen würden, sie vielleicht dafür zu gewinnen. Dem Ensemble: Lob und Weiter so!

(4/5)

Deine Meinung

Dein Kommentar
Bitte Name eingeben