the table
kategorie: Feuilleton
location: Westflügel (Leipzig)
sparte: Theater

Datum: 24.04.2014

Eine neue Saison des Puppen-Spiels ist eröffnet. Sowie der Tanz-, Performance, und vergleichbarer darstellender Ausdrucks- und Bewegungsform-Theateraufführungen. Dieses im schön versteckten und familiär anmutenden Westflügel. Der Beginn einer neuen Themen-Reihe gleichsam, nachdem der Blick eher gen Osten ging, suchendes Blicken nach aufgehenden Sonnen obiger Kunst, geht es nun westwärts. Zu Anfang eben eine Londoner Combo, mit einer Handpuppe, sechs Händen und einem Tisch, der größtenteils die Bühne darstellt und ausgesprochen wichtig ist, beinahe schon ein zweiter Hauptdarsteller. Neben den Händen zugehörigen, spielenden Menschen selbstredend, in prominenten Nebenrollen.

Es geht darum wie die kleine Handpuppe dazu kam Moses zu spielen. Und ihn dann tatsächlich spielt. Vordergründig. Hintergründig aber geht es um das Handpuppen-Dasein. Um die Reziprozität von Puppe und Hand/Händen, deren Abhängigkeiten. Zusammengehalten wird dieses durch Lachen, lautes, befreites, glücklich verzaubertes Lachen. Das letzte Kapitel der Tora, die dargestellten letzten 12 Stunden des Propheten Moses enthaltend (ironischer Weise von Moses geschrieben … aber wohl schon vorher …, vorausschauend), sollen aufgeführt werden. Eine jüdische Gemeinschaft will eine textgerechte, gedenkende und ehrenvolle Darstellung. Endlich die Chance für das Püppchen, sich im dramatischen und ernsthaften Spiel zu erproben. Denn bis dahin, es ist ein Puppenschicksal, spielte sie v.a. für Kinder.

Zu diesen 12 Stunden (am Ende in Echtzeit?) kommt es nicht wirklich. Vielmehr erklärt der Darsteller liebevoll detailliert und nachgerade schreiend komisch sein Schauspieler-Dasein. Es werden Tabus gebrochen: Eine Handpuppe ist in Wirklichkeit gar nicht belebt! Ist Entzauberung. Diese jedoch eben, auf sehr liebevolle Weise, wieder bezaubernd. Hände spielen ohne Puppe Puppentheater, zwei der Hände kommen dabei abhanden, so dass ein Amateur aus dem Publikum einspringen muss, der seine Sache ganz gut macht, doch dann der Puppe versehentlich eine Hand abreißt, die später auch noch weggekickt wird. Das Drama ist da, die Krisis! Der wichtigste Schauspieler verliert eine Hand. Zum Gaudium des Pöbels. Grauen und Entsetzen.

Wahnsinn. Zufällig. Aber die Auflösung mit System. Und die Enthüllung einiger Dinge, die so nicht in den heiligen Büchern stehen. So dass Moses Inspiration für Filme war, wie etwa Mission Impossible und Matrix (inkl. extrem Slowmotion). Der Rezensent fragt sich zwischendurch: Wird die Puppe gesteuert oder gibt sie die Befehle? Das Licht fällt aus genau wie der eine Schauspieler. Dann zeigt Moses wie toll er tanzen kann. Sehr ästhetisch. Dann wird mit blutigem Armstumpf sich über den Sand geschleppt: Why God, why!? Und mit Blut auf die Dünen geschrieben: Moses was here.

Dann eine wilde Verfolgungsjagd, um den Tisch und unter ihm durch, der verlorene Sohn ist zurückgekehrt, will das Abfallen der Hand heilen, doch begegnet ihm Misstrauen und Furcht. Der Tisch wird sogar verrückt und plötzlich heißt das Stück kurz: The Floor. Der Boden ist Bühne. Der Schuldige Verschwinder kriegt dafür ein paar Puppenbackpfeifen und wird an den Haaren gezogen. Dann ist die Hand wieder dran und der Tisch kann zurückgezogen werden. The Show must go on, ist dann aber beinahe schon aus.

Man lernt zudem Neues, wie dass Gott ein Meister der fernöstlichen Kampftechniken ist, Karateschreie, die wahrlich gewaltige Angst erzeugen, dass es so etwas wie Tischenthusiasten gibt, dass die körperliche Komödie neu erfunden werden kann, aber auch, dass Moses vielseitiges Multitalent war: Wir sehen ihn schwimmen, klettern, als Astronaut, beim 40-jährigen Extrem-Walkabout, on ice in Sotschi und im Windkanal. Zuletzt, dass Michael Jackson den Moonwalk von Moses geklaut hat, als beim Epilog noch einmal wunderschön getanzt wird.

Es ist nicht mehr als: A puppet on a table, aber dieses ist: extreme puppetry, von halsbrecherischer Dynamik der Bewegung, von Skurrilität und Kreativität. Es ist ein Großes an Freude und Erfahrung. Und der Abend sicher noch lang hin im Gedächtnis. Die Füße stampften zu recht die Tribüne beinah in Grund und Boden. Herrlich!

(5/5)

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