antigone
kategorie: Feuilleton
location: Schauspiel (Leipzig)
sparte: Theater

Datum: 17.10.2013

Das Stück fängt ein bisschen vor dem Stücke schon an. Es ist der gleiche Weg, der führt unter das Dach, noch Wissenswertes zu erlauschen. Wieso das zu Sehende, so zu sehen sein wird, weshalb gerade diese Übersetzung von Walter Jens es wurde, was gekürzt ward und warum. Es ist kein von Jetzt auf Gleich dadurch, im Rangfoyer ein Ritual, dass im Theater angekommen macht. Ein wenig wie die berühmte Theaterluft, die nun im Blutkreislauf eingeht, man schon etwas ins Stück hineinschaut, vorausblickt, Erwartung weckt. Die durch den kurzen Vortrag etwas Konkretes bekommt. Dann steht da noch die freundliche Dame mit dem Programmheften, damit man was zu tun hat, bis zum Einlass. So man nicht damit beschäftigt ist, ein mitgekommen Humanes wahlweise anzuhimmeln und mit Witz und Charme, ersatzweise eloquentem Ausbreiten des Theaterwissens zu beeindrucken.

Dieses hinter sich gebracht, sitzt man bequem und harrt noch etwas, da das Licht ausgeht, auch die Notfallbeleuchtung, was einen sofort an ein Stück von Thomas Bernhardt erinnert, ein Insiderwitz nur im Kopfe des Rezensenten. Ob die Regie das beabsichtigte? Erstaunlich viele, sehr junge Menschen sind heute im Publikum, ein Erahnen von Schulklassen kommt auf. Angeregt von Schminkversuchen, die übertrieben, Schuhen, die zu hoch und klappernd, sowie exaltierter Oberflächlichkeit im Nachgespräch, dass der Rezensent mit anhören musste, beim Treppenherabsteigen, hin zum Ausgange. Und später auch noch die Vorstellung, dass offenbar die Bronchial- und Asthma-Klinik alle ihre Patienten mitgebracht hat, nach dem ständigen, nervtötenden Husten zu schließen.

Doch endlich zum eigentlichen Stücke! Wie eben gesagt, das Licht aus. Ein langsam ruhiger werden, dass dennoch mit einem „Ssschhhhhhh!“ endgültig zur Raison gebracht werden musste, ach ja, die lieben Kleinen. Da steht sie, groß und einnehmend in schwarz und Glanz der Halsesschmückung und der Scheinwerfer, vor dem eisernen Vorhang, es ist Antigone. Da geht die Tür auf und ihre Schwester, Ismene, kommt hervor. Erstere gibt Letzterer über ihre Pläne Bescheid. Sie wird der Anweisung, die Gesetz ist, ihres Onkels zu wider handeln. Sie wird das menschliche Gesetz brechen, das vermeint Göttliche zu erfüllen. Auf die Gefahr hin, die eine sehr Ausrechenbare, für ihren Ungehorsam zu sterben. Doch ist der Entschluss und kein Abbringen mehr und nach der Eröffnung, zur Eröffnung, nimmt das Unglück seinen Lauf. Den des Schicksales, dem kein Entkommen in der antiken, griechischen Tragödie ist.

Eigentlich jedoch der jeweiligen Persönlichkeiten. Antigone ist eine Radikale und Kreon ein Schwanken, zwischen cholerischem Rechthaber und despotisch Machtbesoffenem. Stets das Recht führend, wie eine argumentative Klinge, die dann auch tötet. Während Antigone idealistisch-romantische Motive hat, egoistisch auch, dies nicht wahrhaben wollend. Es ist ein Vorbeireden. Die Argumente verfangen nicht, sie hören sie an und tun es doch nicht. Beide im vollen Bewusstsein ihrer unerschütterlich richtigen Handlungsweise, sich jeweils selber den Sieges-Lorbeer, im Vor-Streiten, schon aufgesetzt habend. Es weigernd, ihn abzunehmen, unter keinen Umständen, die ihnen dargebracht werden. Das Politische ist hier zu finden, das ewig Aktuelle. Nichts als Sublimierung fundamentalster Konflikte unter den Menschen, abstrahiert von Emotion, in einen Raum aus vermeintlicher Würde verpflanzt. Den Anschein von Zivilisiertheit zu geben. Die nicht ist. Das zeigt Sophokles, indem er die Politik wieder in die Familie zurückträgt. Die dort dennoch Politik bleibt, weil neben ihrer Persönlichkeit die Figuren auch Positionen einnehmen und ausfüllen, Kreon der alternde Herrscher, Antigone die Opposition. Sie ist die absolute Minorität, ihr gegenüber die Mitläufer und Nachläufer der Macht, Majorität. Und das Gären im Volke, die Distanz des Herrschers, der es kaum mehr für wahr nimmt. Die Jugend, welche die Dinge anders zu sehen beginnt, der Wandel, der alles einst Überrollende, Leben wie vormalige Rücksichten, Fortschritt über die Leichen der Zurückbleibenden. All dieses schon bei Sophokles. Bis heute.

Zur Wertung: Annette Sawallisch zeigte als Antigone eine vorstechende Leistung, ihr Spiel schwebt mit dem Hochmut ihrer dargestellten Figur über dem Stück und seinem Inhalt. Sie spielt die Tote, die schon gestorben ist, mit der nötigen Abgeklärtheit, mit Ruhe wieder das Aufbrausen und herrische Gehabe des Onkels. Den Bernd-Michael Baier in Sachen Cholerik passlich darstellt, auch den Verzweifelten zum Ende kriegt er ausgesprochen gut hin. Allein das Aussprechen könnte hier und da deutlicher geraten, in der Erregung freilich ist das Abhandenkommen von Silben sogar zweckdienlich. In der Rasanz des Sprachflusses des Argumentierens jedoch, sollte das Wort gestochen scharf ins Auditorium schallen, dies ward an manchen Stellen doch vermisst. Ein Lob noch an Tilo Krügler, der den Wächter gibt. Seine Verzagtheit, die in Stolz der Pflichterfüllung und dann Überheblichkeit einem nicht mehr Angst einjagen könnenden Herrscher gegenüber, waren wirklich hübsch in Szene gesetzt. Auch Pina Bergemann als Ismene, war wieder einmal im Spiel ein Gewinn. Den Übrigen kann leider kein echtes Werten zukommen, da ihre Auftritte Nebenrollen darstellten, die nicht so viel Spielzeit erfüllen durften. Der Konflikt der beiden Hauptdarsteller ist der primäre Handlungsvorgang, bis zum Vorhang.

Ganz kurz noch zur Bühne. Blecherne Wände, kahle betonplattenartige Böden, viel Raum, ihn mit Kunst zu füllen. Eben jener, der anwesenden Schauspieler, die nicht vieler Bewegung bedurften, ihre Reden genügten. Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass dies Ganze recht traditionell daherkam. Was einerseits schön, weil so der Text lebt und nicht so sehr der Effekt, andererseits ist ein bisschen Innovation ja auch ganz gerne mal bestaunt. Das zu Sehende ragte nicht turmhoch heraus, es war nicht unvergesslich, aber doch solide und spannend, und dies sind keine Floskeln einer lobend-tadelnden Geheimsprache, sondern ehrliches Meinen. Es war ein schöner Abend. Es gab Schönere, jedoch auch um vieles Hässlicherere.

(3/5)

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