ivanov
kategorie: Feuilleton
location: Schauspiel (Leipzig)
sparte: Theater

Datum: 23.11.2013

Mit dem Programmheft sich bewaffnend, da es 19:00 Uhr wurde, hörte der Rezensent den Vor-Vortrag zum Stück an. Nicht von Uninteresse dies, wie meist vorm Spiel. Hernach ging es in den Vorsaal zum Parkett, da ein Hauch von modernisiertem DDR-Prunk die Gäste an die Bar pustete. Der nüchterne Schreiber sich aber, das Heftchen lesend, einem Sitzmöbel anvertraute und dort auf den Einlass wartend sich lesend darein vertiefte. Bis die Pforten sich öffneten.

Erneut war Platz genommen und ein Blick ins Rund gewagt. Es fanden sich leider nicht so viele Zuschauer ein. Vielleicht war es etwa Halbvoll, oder sogar noch weniger. So wäre jede Menge Platz für begeisterungsfähige, weitere Zuschauer, zum Beispiel werdende Freunde des Reziportals gewesen. Nicht schön war es, dass entsprechend weniger Verve und Druck beim Schlussapplaudieren aufkam, nicht aufgrund dargestellter Leistung, es fehlte nur eben an Händen.

Diesmal also Cechovs „Ivanov“. Der eiserne Vorhang, bereits oben, gab den Blick frei, auf ein Tuch, über die ganze Bühnenhöhe-breite hängend. Tischtuch eines Riesen vielleicht, grün, mit weißem Muster. Davor ein Tisch, zwei Stühle, ein Schauspieler auf einem derselben. Den Kopf auf der Tischplatte, bewegungslos. Bis zum Beginnen saß er so, völlig unbewegt. Dann ging es an. Ein Gutsherr in Melancholie, verzweifelter Antriebslosigkeit. Die Frau ist an Tuberkulose erkrankt, wird sterben. Er ist pleite, hat Schulden, muss einen Verwandten mitversorgen, der zum Dank allem mit Verachtung und Spott begegnet, eigentlich aber verzweifelt traurig ist. Ivanov heißt der Hausherr, in der Ruhe lebend gegen böse Geister kämpfend. Sich ständig Vorwürfe machend, von einer Schuld spricht, die er nicht benennen kann.

Dabei diese im Stück klar wird. Projekte der Jugend sind per du. Seine Kraft, darein floss, dies gleichsam. Seine Frau, geborene Jüdin, Kind reicher Eltern. Welche sie verstießen, da sie, um den Gutsherrn zu heiraten, ihrer Religion entsagte. Dadurch sie ohne Mitgift, er sie trotzdem heiratete. Weil er sie liebt, meint er, und sie ihn. Doch nach fünf Jahren, wo sie vor dem Tode steht, da merkt er, dass er sie nicht mehr liebt, dass er nun gar Nichts mehr fühlt. Ausgenommen …, bei den Nachbarn, die seine Kreditgeber sind. Haben die doch eine Tochter, welche nicht gänzlich wie diese: kleinbürgerlich, lästernd und dumm. Die lebendig und verhältnismäßig geistreich (Sasa), sich in Ivanov verliebt. Was er gerade irgendwie nicht gebrauchen kann, andererseits vielleicht gerade dessen bedarf, hier der primäre Unterschied zwischen Komödie und Tragödie. Das Ver-Spielte war weitgehend ein Genuss, besonders Ivanov und die kleine Nachbarin trumpften auf. Doch auch der schmierige Guts-Verwalter (Borkin). Oder aber der Onkel Sabelskij.

Der Regisseur Michael Talke hat Interessantes versucht, die Mischung der Komödien- und der Tragödien-Version des Stückes. Was ganz gut funktionierte. Wenn es auch nicht das komplette Stück durchzog, Ivanov war immer tragisch (v.a. in klug eingebauten Selbstgesprächen, wo das Manische hervorragend durchkam), die Szenen bei den Nachbarn hatten dagegen meist etwas Komisches.

Humorig auch die eigentliche Kulisse. Nach der ersten Szene fiel das Tuch, zum Vorschein kam ein riesiges Industrieregal, voll mit Einmachgläsern, mit Grünem gefüllt. Quer durch das Regal verlaufend ein Tisch, mehr eine Tafel, über der ein Durchgang, dass Schauspieler auf dem Tisch laufend, von einer Seite zur andern gelangen konnten. Beides auf einem beinah die ganze Bühne einnehmenden Kreis, der drehbar und das ganze Ensemble routierte. Dies von Zeit zu Zeit, bei den Szenenwechseln etwa, klug eingesetzt. Manchmal Wirbel zu erzeugen, zwischen je Ivanovschen Langeweileempfindungsphasen.

Ach ja der Regalinhalt, in den Gläsern waren übrigens Stachelbeeren, die Ernte auf der die nachbarliche Gutsherrin (Zinaida) ein bisschen sitzen geblieben war. Daher sie jedem zum Tee ständig Stachelbeermarmelade anbot, die aber niemand wollte. Hinter dem Regal noch eine weiße gebogene Wand, auf die abgefilmte Bilder des sich drehenden Regals projiziert wurden, in wechsel-farbigem Licht, sehr stimmungsvoll, dabei zurückhaltend. Die Musikauswahl war auch dezent und in ruhigeren, traurigen Momenten richtig gut.

Es wurden diese Momente dann auch mal etwas lang, musste es aber auch, schließlich ging es um russische Land-Langeweile, die berühmt berüchtigte russische Seele, ach ja …. Wie schön! Und depressiv? Oder gar deprimierend? Das mag entscheiden wer will. Es ist noch Gelegenheit dazu, sich selbst ein Urteil zu bilden. Es sei jedem anempfohlen.

(4/5)

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