the les fleurs de mal
kategorie: Feuilleton
location: UT Connewitz (Leipzig)
sparte: Konzert, Lesung

Datum: 05.04.2014

Manchmal sind da Momente. Momente, mit dem Potential, zu bleiben. Ganz zu stehen im Raum der Erinnerung und eben stehen zu bleiben. Vermittelt, von einem Lied das von Nirgendwo her klingt, von einer Zeile im Wiederlesen. Es sind Momente, die man nicht halten muss, denen keine Mühe zukommt, sondern andersherum, sie einen in ihren Bann schlagen, ohne Entkommen. Diese Momente, sage ich, sind rar und sie zu missen ist arg. Daher es so tief durchwühlt die Seele, auch die eines Rezensenten, denn auch der Kritiker hat ein Herz für das Schöne und das Wahre, das wie von einer Fremde her gesteuert, seine Finger tippen macht, Worte und Sätze, die den Moment zu greifen, zu begreifen versuchen, und es nicht schaffen werden, nicht können. Doch ein Versuch soll gewagt werden.

Es ist die Lyrik. Die Poesie. Der Muse Einflüsterung in beredte Verse, jener Charles Baudelaires. Gesprochen und modelliert von Hans Henrik Wöhler, sitzend hinter schwarz bespannter Lesebühne, ein Hochamt, von dem herab die Reime säuseln und brausen, gewispert und mit Bass herausgebrummt werden, verlacht, betrauert, von Wahnen migerissen in der Worte Fluss. Und von Mimik und Gestus, ach so herrlich, unterstrichen, angestrahlt von der Leselampe, ihm Schatten ins Antlitz werfend. Tief und dunkel die Stimme, sonor und dann wieder lustig-heiter, mit einem Springen im Tönen, mit einer Lust am Steigern, am Erhellen und Fallenlassen der Spannung. Sogar mit anrufendem, herbeischwörendem Bitten, mit Lachen und Verzweifeln, Hoffen und von der Hoffnung lassendem Resignieren, mit Liebe und Ekel, zu und vor der Liebe und dem Leben, alles dies schwingt mit, an geeigneter Stelle. Wie man es so nicht selber lesen könnte. Er pflanzt die Stimmungen ein, dem Hörer, der in seinem Sitz den Worten hinterherzittert, im Schauder ihrer Magie.

Martin Zitzmann steht an der Orgel, der Elektronik, dem Rechner, dem Keyboard und allerlei Effektgeräten. Tut ein gutes Werk, indem er den Schlagzeuger mit übernimmt bzw. ein bisschen Beat einspielt, über den hinweg sich dann Reiner Schmidt mit seiner Gitarre erhebt, in rieselnden, elektronischen Wellen eigene Sphären durchreisend, mitunter aber auch rockig und mit souveränem Griff in ruhiger Härte erfassend, die Saiten. Auch er ist mit Fußschaltern und allerlei Zusatzgerät gerüstet. Sie bringen den Sound, sie Vertonen und geleiten, füllen Pausen und nehmen mit, die Reime, die Zeilen. In eine ihnen an sich fremde Welt, stimmenloser Melodie, die harmonisch kommentiert, doch mehr als dieses, ein Gemeinsames daraus schafft. Welches um ein Vieles mehr ist, als seine Teile, die mindestens was die Dichtung angeht, schon eine gewaltige Größe sind, solche die wahrlich Epoche machte.

Da wird „Das Aas“, im Lesen, sein Verwesen, so schön und so zart. Ganz apart, dazu in der Nachfolge ein romantisches Stück für Klavier, nur mit dem elektronischen Tasteninstrument gespielt. Schließlich eine Kirchenorgel, zu den „Litaneien des Satans“, denen der Dichter unter anderem eine Verurteilung im Jahre 1856 verdankte. Die hier als Zugabe kommen, die damals sein öffentliches Werk nicht bereichern durften. Und wie sie kommen, mit Druck und Wucht, vielleicht eines Vor-Wahnsinnigen, eines bis zur Schmerzgrenze Berauschten, eines dem Leid verwandten Dichters. Der hier gesprochen von dem Besessenen, geifernd, den zu Exorzierenden spielt, aus Lust am Skandal, aus Spaß an Provokation, dem wilden Furor, des Sichgehenlassens, hinein in die Konvention, die noch so sehr christlich war und selbst im Heute, das angeblich säkularisiert, satanistisch wirkt.

Von hinter der Bühne zieht Nebel auf, wie von Schwefelbränden, das stechend-böse Rot sinkt auf die Bühne herein, nimmt alles auf ihr Befindliche zu Geiseln. Erglüht die zur Fratze verzerrten Gesichte des Lesenden. In der Anrufung des Satans, Schmerzensschreiend, das in Lachen kippt, den eigenen Schmerz verlachend, sowie das Schauspiel, das man sich selber in ihm bietet. Der Zuschauer am eigenen Darstellen, das man sich nicht abkauft. Dem Selbst ironisch, gegenüberstehend, dabei man nicht aus seiner Haut kann. Da dieses einem so lächerlich wird, und mit ihm, Alles. Vielleicht tiefster Ausdruck von Hilflosigkeit. Von Verlorenheit und vom Einsam sein, selbst in der Lust.

Es bleibt Nichts übrig, als erschöpft von der Mitgenommenheit, aber selig von der Kraft der Einfindung in dieses Erleben, des Empfindens an ihm, dem sich das Belebtwerden verdankt, des da gewesenen Rezensent, als das Maximum der Wertung des Zustandes der Beglückung, außerhalb einer innigen Zweisamkeit, auszusprechen. Wann immer einem zur Dichtung Neigenden Gelegenheit sei, dieses zu erleben, er nehme sie, auch unter Umständen, war.

(5/5)

Deine Meinung

Dein Kommentar
Bitte Name eingeben