Treichels Sicht … Lhasa De Sela

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lhasa de sela
kategorie: Feuilleton
label: Warner
genre: Folk, Weltmusik
medium: CD
sparte: Kolumne

VÖ: 29.03.1999 / 09.02.2004 / 29.05.2009

In dieser Reihe wird der Autor versuchen die Vergangenheit zu interviewen, eine Vergangenheit, die selber nicht mehr Antworten geben kann. Aber vom Schreiber, aus den unterschiedlichsten Gründen, als so wichtig angesehen wird, dass dieser seine Stimme jener leiht. Damit zu Wort komme, was bedauerlicherweise schweigen muss.

Es schreiben sich ein, die Erlebnisse, in die Biographien. Und der Mensch ist ständig umgeben, von Potentialen, ihn zu verändern. Meistens ist dieses kaum zu bemerken, weil langsam und peu a peu dieser Wandel vor sich geht. Es kommt jedoch auch vor, dass Erweckungsmomente eines Umkippens, eines Teils des Ichs, der Aufmerksamkeit unterkommen. An einer neuen Erfahrung, ganz plötzlich und intensivst zu Bewusstsein kommend. Dieser Text möchte dafür ein Beispiel geben.

Der Autor traf sich mit einer schönen, jungen Dame zu einer Verabredung, man spazierte durch das Grün in Leipzigs Südwesten, unterhielt sich angeregt und war überhaupt guter Dinge. Alles was schön ist, geht aber nun freilich zu Ende, was wiederum unschön ist, so verabschiedete man sich lieb voneinander und ging jeweils seiner Wege. Der Weg nun des Autors, noch in schönen Gedanken dem Erlebten nachhängend, führte ihn zu einem Laden, der nun schon geschlossen war. Doch im Außen des Schaufensterbrettes lagen CDs, die riefen: „Nimm uns mit!“.

Was davon zu halten war, wollte der Autor nun überprüfen. Zweimal waren es mistige Unsinnstrash-Datenträger. Doch einmal war ein schwarz-weiß-gecovert Hübsches vorliegend. Drauf stand „Lhasa“ und „The Living Road“, beides brachte den Autor in die Verlegenheit einer Unkenntnis, jedoch nur vor sich selbst. Ob des lieblichen Titelbildes nahm er sich dennoch, in Unwissenheit, der CD an.

Zuhause angekommen wurde natürlich sofort recherchiert. Man ist ja Profi. Internet, geheiligt werde dein Name, manchmal jedenfalls, für den ersten Überblick. Bei der aufgedruckten „Lhasa“, handelte es sich um Lhasa de Sela, ihre Geschichte, auf Wikipedia kürzest zusammengefasst, bewegte, da diese selber so bewegt. Die Namensträgerin erhielt diesen erst fünf Monate nach dem 27. September 1971, ihrem Geburtstag, von ihren lieben Eltern, die, Hälfte/Hälfte, Mexikaner und US-Amerikanerin waren. Dieser bedeutet übersetzt, „Land der Götter“ oder „heiliger Platz“ und entstammt dem tibetanischen Totenbuch.

Im äußersten Nordosten der USA, nahe Woodstock, geboren, hielt es Lhasa und ihre Familie nicht lang dort. Für sieben Jahre wurde ein Bus ihr Zuhause und die Straßen führten quer durch diesen riesigen, nordamerikanischen Kontinent, inklusive Mexiko. In einem Café in San Francisco trat sie dann erstmals als Sängerin auf, mit 13. Es ist nicht zu sagen, welch romantische Hippie-Vorstellungen dies im Autoren auslöste, die ihn bis jetzt verträumt lächeln machen. Mit einer Spur humoriger Verschmitztheit, über die manchmal einkommende Klischee-Naivität, vom tiefen Wunsch beseelt, dass es auch nur halb so schön für die Kleine war, wie er es sich für sie vorstellt.

Hiervon abgesehen malte sie jedoch auch und zeichnete, so gestaltete sie etwa ihre CDs und deren Booklets selber und dieses durchaus auf beeindruckende Art und Weise. Mit 19 dann traf sie, in Montreal, Yves Desrosiers, der bald ihre erste CD produzieren sollte, welche „La Llorona“ heißen sollte und 1997 erschien. In Montreal hielt sie sich öfter auf, da ihre Schwestern beim berühmten Cirque du Soleil Anteil hatten, wie sie dann auch bald. Mit denen sie dann später, in Paris, einen eigenen kleinen Zirkus aufmachte (davon Ausschnitte im Netz zu finden sind). In Marseille schrieb sie dann an ihrem zweiten Album „The Living Road“. Während das erste komplett auf Spanisch eingesungen war, kamen jetzt englische und französische Lieder hinzu, diese CD erschien 2003.

Nach diesem verzog Lhasa zurück nach Montreal, wo sie ihr letztes Album zusammenstellte, dieses mal komplett in englischer Sprache, mit dem Titel „Lhasa“. Sie erschien im April 2009, neun Monate später, am 1. Januar 2010, dem Neujahrstag, verstarb Lhasa, erst 37-jährig, an Brustkrebs. Ihre Karriere ist die einer versteckten Sensation, ihr erstes Album verkaufte sich in Frankreich 300.000-fach, fast ohne Werbung, insgesamt 700.000 Kopien wurden verkauft. Songs von diesem und dem zweiten wurden in Filmen verwandt, sie gewannen Preise (u.a. Juno-Award, 2005 BBCs World Music Award „Best Artist of the Americas“).

Nach ihrem Tod, wurden sich dann einige Medien dessen bewusst, was noch hätte werden können, wenn ihr eine Zukunft geblieben wäre. Zahlreiche Produktionen, v.a. in Kanada und Frankreich, blickten auf ihr Leben und Werk zurück, in Radio, Printmedien und TV, ein Buch erschien (auf Französich, das vergriffen). Dennoch, kennt man sie, hier im deutschen Sprachraum? Hat man hier von ihr gehört? Zumindest in der Schweiz. Da zwei Alben eine geraume Zeit beachtliche Platzierungen in den Album-Charts erreichten.

Nachdem der Autor dieses und mehr noch erfahren hatte, konnte es nun nicht mehr ausbleiben die CD einzulegen und zu hören. Vielleicht ist es ja die Macht der Musik. Vielleicht die Kraft der Bilder, von einem ungewöhnlichen Gesichte, einer wunderschönen Frau. Oder jene ihrer traurigen Stimme. Oder dem merkwürdigen Gefühl, dass die wenigen, biographischen Fakten auslösten, etwas Verbindendes gefunden zu haben, das dem eigenen Herzen ein roter Faden ist, hin zu anderen. Mit dem sie aneinander geschnürt, mindestens jetzt. Vielleicht auch die Summe aus allem. Tatsache ist, der Autor hat sich in diese Musik schwer verliebt. Und er denkt voll melancholischen Glücks an die Verstorbene (erscheint dies vielleicht auch paradox), mit so trauriger Gewissheit, sie nie live sehen zu können, sie sich nie mehr lebendig zu ihrer Musik bewegen sehen zu können. Dass nichts bleibt, als Erinnerung. Aber diese immerhin! Mit einem Auftrag ausstattend, den Niemand artikulierte. Den der Schreiber sich vielmehr selber gestellt hat. Einen Eid, den er vor sich schwor. Wie sie ihm aus dem Nichts gekommen war, so sollte sie von ihm nicht in das Nichts zurückkehren. Er würde ihren Namen erinnern und ihre Musik. Und er würde damit anfangen, über sie etwas zu schreiben. Damit auch klar geworden ist: Dieser Artikel ist Parteinahme, er ist absolut subjektiv und alles was ihm folgt, wird es gleichsam sein. Denn was hier erfahren wurde, hat das Subjekt verändert, vielleicht nur um ein objektiv winziges Stückchen, aber eines das intensiv gefühlt, das besonders eindringlich Gewandeltes beleuchtet.

Es werden auf dieser Plattform CD-Rezensionen folgen, sowie eine textliche Beschäftigung mit einigen Bildern der Sängerin. Darob hinaus möchte der Autor noch darauf aufmerksam machen, dass das Netz auch die Toten nicht vergisst (diesmal eine gute Nachricht, in diesem Fall). Ein Internetradio hat zwei Alben online, ein Video-Bereitsteller hat eine relativ breite Palette an Liedern und Filmchen und der ein oder andere interessante Artikel, sogar gut Geschriebene, lassen sich auch finden.

Da der Autor in Liebe zugetan ist, der Sängerin, bittet er die werten Freunde von Folk, Weltmusik, Jazz, Blues und sanftem Pop einmal in diese Musik hineinzuhören, sich Bilder von Lhasa anzusehen und einmal darüber nachzudenken. Auch darüber, wann und was zum letzten Male war, dass ihr Leben ein kleines bisschen, aber sehr spürbar, verändert hat. Und was diese Veränderung ihnen und jenen unter den Mitmenschen, die ihnen wichtig sind, bedeutet und also wie angebracht es ist, diesen Momenten, diesen Zufällen gegenüber demütige Dankbarkeit zu empfinden. Eine Art von tieferem Glück und wahrerem, bewussteren Sein, als es der Alltag bereithält, ein nicht aus allen Wolken fallen, sondern ein Innehalten. Inmitten des Wahnsinns, der um einen weiterrast. Kurz darüber sich zu freuen und wirklich ganz Freude zu sein, dass man Ohren hat zu lauschen, der Musik, und Augen zu sehen, ein Gesicht, und Vorstellungskraft sich einzufühlen, in eine Textzeile, in ein Seufzen, in ein Schweigen.

Ja, auch so kann eine Verabredung enden. Die wieder neu aufgenommen werden wird. Mit ihr sich dieses Erleben verbunden hat und nun untrennbar von ihm ist. Und voller Vorfreude harrt der Autor, der zwei zu ihm reisenden CDs und der nächsten Verabredung, mit einer Dame. Ohne die er nicht dahin gekommen wäre, nicht die CD gefunden hätte und in diesem Zusammenhang, immer noch, ganz unwissend wäre. Und dafür ist auch ihr Dank. So verspielt sind manchmal die Zufälle. Und so schön kann es sein, einer ihrer Spielbälle zu sein.

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